Reisen in der Schweiz
Mit der Bahn durch Graubünden: Eine Reise durch Täler und Zeiten
Die Rhätische Bahn bietet nicht nur spektakuläre Aussichten, sondern auch einen Blick in die Geschichte der Schweiz – eine Entdeckungsreise mit Nostalgie.
Veröffentlicht am 2025-06-30 07:14 | Geschrieben von Rodolfo Stocker

Immer mehr junge Schweizerinnen und Schweizer entdecken ihre kulturellen Wurzeln neu – und mit ihnen die Traditionen ihrer Heimat. In Glarus beispielsweise formierte sich eine Gruppe von Studierenden, die das altehrwürdige Chläusezügli wiederbeleben wollten. Statt den Brauch in konservativer Manier zu kopieren, kombinierten sie klassische Elemente mit modernen musikalischen Einflüssen.
Das Ergebnis: eine Parade mit traditionellen Kostümen, begleitet von DJs und Alphorn-Elektro-Mischungen. Was zunächst nach einem kuriosen Experiment klang, fand großen Anklang – nicht nur bei den Älteren, sondern besonders bei der jungen Generation. Die Veranstaltung wurde inzwischen in das offizielle Kulturprogramm der Gemeinde aufgenommen.
Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in der Innerschweiz. Dort hat eine junge Designerin begonnen, Trachtenstoffe neu zu interpretieren. Ihre Kollektionen verbinden historische Schnittmuster mit urbaner Modeästhetik. Damit spricht sie nicht nur Trachtenliebhaber an, sondern auch ein internationales Publikum, das Schweizer Handwerkskunst zu schätzen weiß.
Im Thurgau entstand eine digitale Plattform, auf der junge Menschen regionale Bräuche dokumentieren, teilen und kommentieren können. Die Idee: kulturelles Wissen soll nicht im Archiv verstauben, sondern lebendig bleiben. Die Plattform ist inzwischen ein beliebtes Werkzeug für Schulen, Vereine und Touristiker.
Ein zentrales Anliegen vieler junger Kulturakteure ist der Zugang: Traditionen sollen nicht exklusiv oder starr sein, sondern offen für Wandel und Mitgestaltung. In Workshops wird deshalb gemeinsam mit älteren Generationen diskutiert, welche Elemente bewahrt und welche weiterentwickelt werden können.
Das Eidgenössische Trachtenfest, das alle fünf Jahre stattfindet, zeigt diese Entwicklungen exemplarisch. Beim letzten Fest in Lugano war ein erheblicher Teil der Beteiligten unter 30 – viele mit eigenen Ideen, kreativen Umsetzungen und neuen Ausdrucksformen. Die Veranstalter sprechen von einer “neuen Lust auf Heimat”.
Auch in der Musik schlägt sich dieser Trend nieder. Junge Volksmusikgruppen mischen traditionelle Melodien mit Jazz, Hip-Hop oder elektronischen Beats. Dabei geht es nicht um Provokation, sondern um Authentizität – um das ehrliche Interesse, Herkunft und Gegenwart zusammenzubringen.
Das Bundesamt für Kultur fördert solche Initiativen gezielt. Unter dem Titel „Heimat 2.0“ werden Projekte unterstützt, die Traditionen in zeitgemäße Kontexte überführen. Ziel ist es, kulturelle Nachhaltigkeit zu stärken und gleichzeitig kreative Innovationen zu ermöglichen.
In ländlichen Gemeinden sorgen die neuen Ansätze teils für Irritationen – doch meist überwiegt die Neugier. Viele ältere Menschen freuen sich, dass das kulturelle Erbe nicht in Vergessenheit gerät, sondern durch neue Perspektiven erweitert wird. Die Gespräche zwischen Alt und Jung erweisen sich oft als überraschend fruchtbar.
Ein Kulturhistoriker der Universität Basel sieht darin einen Paradigmenwechsel: „Heimat ist kein statisches Konzept mehr. Sie wird gemacht, verhandelt, gestaltet – von allen, die sich damit identifizieren.“
Was früher als verstaubt galt, wird heute mit Stolz getragen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Die neue Begeisterung für Traditionen zeigt, dass Heimat nicht alt sein muss, um wertvoll zu sein. Sie muss nur ehrlich gelebt werden.